In ganz Polen haben erneut Zehntausende gegen eine weitere Verschärfung des Abtreibungsgesetzes demonstriert. Bei den Kundgebungen sprachen sich die Demonstrantinnen und Demonstranten gegen den Gesetzvorstoß des ultrakonservativen Bündnisses "Stoppt Abtreibung" aus. In Warschau, wo laut Stadtverwaltung allein 55.000 Menschen teilnahmen, endete der Protest vor dem Sitz der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Polen hat bereits jetzt eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas, dennoch befürwortete der Rechtsausschuss zuletzt den eingereichten Gesetzentwurf. Dieser sieht vor, dass schwer kranke und missgebildete Föten künftig kein Abtreibungsgrund mehr sind. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, könnten Frauen in Polen nur noch abtreiben, wenn das Leben der Schwangeren unmittelbar bedroht ist oder sie durch eine Vergewaltigung oder Inzest schwanger geworden sind.

Die Demonstrationen wurden von über 200 Menschenrechts- und Frauenorganisationen unterstützt. Durch die geplante Gesetzesverschärfung würden die Gesundheit und das Leben von Frauen gefährdet, schrieben sie in einen gemeinsamen Appell (PDF). Zudem verletze Polen seine Verpflichtung, die Menschenrechte einzuhalten. Zu den Unterstützern zählten unter anderem Human Rights Watch, Amnesty International und pro familia Deutschland. 

Europarat warnt Polen

Auch der Europarat äußerte sich besorgt über die geplante Gesetzesänderung. Eine Verabschiedung des Entwurfs stünde in Widerspruch zu Polens menschenrechtlichen Verpflichtungen, sagte der Menschenrechtsbeauftragte Nils Muiznieks. Insbesondere würde dies das Recht der Frau auf Freiheit von Misshandlungen gefährden.

Die Aktivisten sorgen sich, denn die mit absoluter Mehrheit regierende PiS will die Gesetzesverschärfung offenbar unterstützen. "Die PiS war, ist und wird immer dafür sein, Leben zu schützen", teilte die Partei kürzlich mit. Umfragen zufolge sind nur elf Prozent der Polen klare Abtreibungsgegner. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstitut SW Research befürworten die meisten eine Lockerung der Gesetze. Entsprechende Initiativen lehnte das Warschauer Parlament aber bereits ab.

Regierungsangaben zufolge werden in Polen jährlich bis zu 1.000 Schwangerschaften mit einer Abtreibung beendet – die Dunkelziffer schätzen Frauenrechtlerinnen sogar auf bis zu 150.000 Fälle. "Eine legale Abtreibung ist schon jetzt kaum möglich", sagte die Aktivistin Liliana Regala. Viele Mediziner würden den Eingriff verweigern. Zu groß sei ihre Angst, ins Visier von Ermittlern zu geraten oder Zielscheibe der Proteste von Abtreibungsgegnern zu werden.

"Stoppt Abtreibung" wird bereits seit 2016 kontrovers diskutiert. Die Volksinitiative wurde von rund 800.000 Polinnen und Polen unterschrieben – doch auch damals formte sich Widerstand. Nach landesweiten Protesten hatte das polnische Parlament daher einen ähnlichen Gesetzentwurf abgelehnt.