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„Erdogan sucht nach einer totalitären Lösung“

Can Dündar mit seiner Frau Dilek in Istanbul. Die beiden sind seit 1988 verheiratet und haben einen Sohn Can Dündar mit seiner Frau Dilek in Istanbul. Die beiden sind seit 1988 verheiratet und haben einen Sohn
Can Dündar mit seiner Frau Dilek in Istanbul. Die beiden sind seit 1988 verheiratet und haben einen Sohn
Quelle: AFP
Der türkische Präsident führt einen Privatkrieg gegen alle Gegner, besonders gegen den Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“. Dessen Ehefrau warnt vor den Allmachtsfantasien des Staatsoberhauptes.

Dilek Dündar ist eine sehr mutige Frau. Mutiger vielleicht, als es so manch andere Frau in ihrer Situation wäre. Denn ihr Ehemann steht in Istanbul vor Gericht. Ihm droht eine lebenslange Haft. Er hat es gewagt, sich mit Präsident Recep Tayyip Erdogan anzulegen.

Eigentlich aber trifft „sich anlegen“ nicht das, was Can Dündar getan hat. Der Chefredakteur der einflussreichen regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ hat seine Arbeit gemacht, die eines verantwortungsvollen investigativ arbeitenden Journalisten. Seine Redakteure haben einen Skandal aufgedeckt: Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an Islamisten im syrischen Bürgerkrieg, getarnt als medizinische Güter.

Erdogan wertete das als Spionage und Verrat von Staatsgeheimnissen. Er stellte höchstselbst Strafanzeige und erwirkte mehrere Prozesse gegen Dündar, der dritte beginnt am 22. April. Die Öffentlichkeit wurde mit Verweis auf die „nationale Sicherheit“ bisher vom Prozess ausgeschlossen. „Allerdings“, so merkt Frau Dündar süffisant an, „haben im Gerichtssaal rund 500 Juristen gesessen, die vorgaben, meinen Mann verteidigen zu wollen.“

Offener Angriff auf die Meinungsfreiheit

Es geht um viel. Und was die 56-jährige Dilek Dündar dazu beitragen kann, ihrem Mann zu helfen, das tut sie. „92 Tage war er im Gefängnis. Ich möchte das nicht noch einmal erleben“, sagt sie im Gespräch mit der „Welt“. Seit 1988 ist sie mit Can verheiratet, und sie ist froh darüber, dass der gemeinsame 21 Jahre alte Sohn in London internationale Politik studiert – gewissermaßen also in Sicherheit ist vor einem zunehmend erratischen Präsidenten und dessen persönlichem Rachefeldzug.

„Erdogan hat persönlich erklärt, dass er meinen Ehemann nicht davonkommen lassen wird. Er bezichtigt ihn schwerer Verbrechen“, sagt Frau Dündar. Der Präsident hatte auf einem Medizinerkongress in Ankara zu Protokoll gegeben: „Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, damit sie an ihr Ziel gelangen, besteht kein Unterschied.“ Ein offener Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Dilek Dündar vor einer Karte der Organisation Reporter ohne Grenzen. Ihre Heimat Türkei ist auf einer Liste von 180 Staaten auf einem unrühmlichen 149. Platz
Dilek Dündar vor einer Karte der Organisation Reporter ohne Grenzen. Ihre Heimat Türkei ist auf einer Liste von 180 Staaten auf einem unrühmlichen 149. Platz
Quelle: Reporter ohne Grenzen

Das sah im Übrigen auch das türkische Verfassungsgericht so und wertete Can Dündars Arbeit als von der Verfassung geschützt. Erdogan meinte, sich daraufhin leisten zu können, dem Verfassungsgericht zu drohen – und sich damit über die Verfassung hinwegzusetzen. „Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung“, sagt Frau Dündar. „Erdogan will eine Präsidialrepublik nach US-Vorbild schaffen – mit ihm an der Spitze. Aber er geht im Grunde noch weiter. Er sucht nach einer totalitären Lösung, er will alle Macht, er will alles kontrollieren. Wenn ihm etwas aus den Händen zu gleiten droht, reagiert er irrational, fast wie ein Verrückter.“ Und er benutze das juristische System der Türkei „wie ein Schwert gegen jeden, der gegen ihn“ sei.

„Während der Militärdiktatur wurde 14.000 türkischen Bürgern die Staatsangehörigkeit aberkannt. Erdogan hat einmal gesagt, diese Zeiten seien vorbei. Nun spielt er mit den gleichen repressiven Instrumenten. Gegen 1845 türkische Bürger hat er inzwischen Anzeige wegen Beleidigung und Respektlosigkeit erstattet und Prozesse angestrengt.“ Erdogan wolle zudem ein Gesetz etablieren, das ihm erlaube, so ziemlich jedem türkischen Bürger terroristische Umtriebe anzulasten und gegen ihn zu prozessieren.

„Wir glauben, dass Präsident Erdogan ein gefährlicher Mann ist“, sagt Frau Dündar und weiß sehr wohl, was eine solche Äußerung bedeuten könnte, wenn sie zu Hause in der Türkei von den falschen Leuten gelesen wird. Sie weiß aber auch eine große Gruppe von Mitmenschen hinter sich, denen sie aus der Seele spricht. Einschließlich natürlich ihres Gatten, der vor Kurzem anlässlich einer neuerlichen Verhandlung vor Gericht in die Kameras sagte: „Der kleinste Artikel und jede Kritik an der Regierung können zu einer Anklage führen. Aber wir werden weiter dafür kämpfen, dass die Einschränkung der Pressefreiheit und die Schranken des freien Denkens wieder fallen!“

Türkei fordert Strafverfahren gegen Böhmermann

Wegen seines Schmähgedichts auf den türkischen Präsidenten Erdogan hat die Türkei nun ein Strafverfahren gegen Jan Böhmermann gefordert. Die Bundesregierung will dies nun „sorgfältig prüfen“.

Quelle: Die Welt

Sein Kampfeswillen hat ihn zu einer sehr populären internationalen Figur gemacht, und seine Frau beteuert, diese internationale Anteilnahme an Can Dündars Schicksal und dem seines mitangeklagten Hauptstadtbüroleiters Erdem Gül bedeute einen gewissen Schutz vor staatlicher Willkür.

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Erdogan sei, so analysiert die gelernte Journalistin, mit seinem Vorhaben gescheitert, Anführer der islamischen Welt zu werden. Er habe die islamischen Nationen mindestens moralisch zu der Größe führen wollen, die sie einmal innehatten – freilich mit ihm in der Rolle eines modernen Kalifen. „Die arabischen Nationen haben es aber nicht akzeptiert, sich einem türkischen ,Kalifen‘ unterzuordnen.“

Erdogan habe diese Niederlage noch immer nicht überwunden, aber auch seine Ambitionen niemals aufgegeben. Er wolle ein internationaler, ein global relevanter Spieler sein. Dabei habe er aber nur die Hälfte der türkischen Bevölkerung hinter sich. Ihr Ehemann hatte das zuletzt etwas drastischer ausgedrückt. „Erdogan will jede oppositionelle Person in diesem Land mit seiner Terrordefinition greifen können. Das Ergebnis wäre eine Gesellschaft mit 40 Millionen Terroristen. Keine Gesellschaft kann das aushalten!“ Und Erdogan selber, so ist Frau Dündar überzeugt, werde das auch nicht aushalten. Er werde scheitern, weil das türkische Volk eine neue Diktatur nicht zulassen werde. „Schon jetzt machen sich doch immer mehr Leute über ihn lustig, sehen Sie doch nur, was der deutsche Satiriker Jan Böhmermann über den Präsidenten gespottet hat.“

„Erdogan hat es verdient, beleidigt zu werden“

Der Streit über das Schmähgedicht von Jan Böhmermann spitzt sich weiter zu. Die Türkei hat ein Strafverfahren gefordert, das die Bundesregierung prüft. Im N24-Studio spricht dazu Publizist Henryk M. Broder.

Quelle: Die Welt

Die Frage, ob sie jemals darüber nachgedacht habe, die Türkei zu verlassen, beantwortet die resolute Frau mit einem klaren Nein. Denn es sei nun einmal nicht Erdogans Land, auch wenn er es glaube. „Es ist mein Land! Meine Heimat!“ Demokratie, so habe Erdogan einmal gesagt, sei wie ein Zug, auf den man aufspringen, ihn aber auch jederzeit wieder verlassen könne, zitiert Dilek Dündar. Keine Frage: In diesem Zug sitzt Erdogan schon lange nicht mehr.

„Wir werden gewinnen“, sagte Can Dündar nach dem vorerst letzten Prozesstag Anfang April. „wir haben in der Vergangenheit immer gewonnen.“ Auf einer Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten. Es wäre sehr wichtig, dass Can Dündar auch diesmal gewinnt.

Dilek Dündar ist auf Einladung von Reporter ohne Grenzen zum ersten Mal in Berlin. Am Dienstag wird sie an einer Podiumsdiskussion im Maxim-Gorki-Theater (Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin) über die schwindenden Spielräume für Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei teilnehmen.

Regierungssprecher Seibert zu Döpfner und Hallervorden

Jan Böhmermann bekam am Wochenende unter anderem Unterstützung von Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner und dem Satiriker Dieter Hallervorden. Merkels Sprecher Steffen Seibert äußerte sich dazu.

Quelle: Die Welt

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